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Was ist Gender-

Psychotherapie?

Geschlecht

Für jeden, der schreibt, ist es fatal, an sein Geschlecht zu denken.

Es ist fatal, einfach ein Mann oder eine Frau zu sein. Es wäre besser, Frau-männlich oder Mann-weiblich zu sein.

(Virginia Woolf, 1882-1941, britische Schriftstellerin, Verlegerin)

Unsere Kindheit prägt uns und kann dazu führen, dass wir als Erwachsene unglücklich bleiben, dass Depressionen oder Ängste auftreten oder die Lebenslust nicht auftauchen mag und sich das Leben einfach nicht erfüllt anfühlt. Die Familie prägt auch geschlechtsspezifisch: Mütter sind andere Vorbilder als Väter und reagieren auf ihre Töchter bzw. Söhne verschieden. Durch die Gesellschaft verinnerlichen wir Rollenstereotypen – was ist typisch Mutter oder typisch Vater? Wie habe ich zu sein? Werbung für Männer und Frauen sieht anders aus. Geschlechtsspezifische Erwartungen verursachen auch psychisches Leid, z. B. wenn eine Frau immer freundlich und nett oder selbstlos sein soll und weibliche Aggressivität schnell als zickig“ gilt oder wenn Männer mit ihrer Angst und Verletzlichkeit alleine bleiben, da sie sich dessen schämen.

In der Gender-Psychotherapie, so wie auch in der Gendermedizin wird das Geschlecht in der Diagnose und Therapie mitberücksichtigt. Frauen und Männer haben nicht nur andere Körper, einen anderen Stoffwechsel und eine andere Schmerzverarbeitung, sie genießen“ auch eine andere Erziehung und andere Kindheiten. Das soziale Geschlecht ist erziehungsbedingt, das biologische ist angeboren und es gibt nicht-binäre (uneindeutige) Formen. 

 

Frauen und Männer haben unterschiedliche Risiken psychisch zu erkranken. Frauen leiden doppelt so oft an Depression und Anpassungsstörungen (Traumafolge) wie Männer. 

 

Die Ursachen dieser Unterschiede sind in erster Linie in der Erziehung und den gesellschaftlichen Rollenbildern, aber auch in den Lebensbedingungen begründet. Auch Männer werden durch ihre Rollenprägung, in der es häufig um Stärke und Konkurrenzfähigkeit geht, in ihrer Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt.

 

Gendersensibel zu arbeiten bedeutet für mich neben der Kindheit auch Geschlechterrollen mit in den Blick zu nehmen. Trans- und binäre Menschen werden bisher statistisch nicht oder kaum erfasst, so dass ich sie hier nicht explizit berücksichtigen kann. Sicher leiden sie auch unter Rollenstereotypen. 

Was sagt die Statistik?

Die häufigsten Störungen bei Männern und Frauen

Angststörungen
Männer: 9,7 %
Frauen: 22,6 %

 

Alkoholstörungen
Männer: 18,4 %
Frauen: 3,9 %

 

Depression
Männer: 5,0 %
Frauen: 11,4 %

 

Prozent der Teilnehmer*innen, die in den letzten zwölf Monaten an der genannten Störung litten. DEGS-Studie des Robert Koch-Instituts Berlin. Teilnehmerzahl: 5318
Angaben nach: Wittchen & Jacobi, 2014.

Gendergerechtigkeit & Gleichstellung -

kein Thema für Mütter?

Ich habe mich auf die gendersensible Arbeit mit Müttern spezialisiert, denn hier wirkt die geschlechtsspezifische Diskriminierung stark und oft ungesehen. Ungesehen auch in psychotherapeutischen Praxen, in denen ein mütterlicher Burn-out auch mal als Depression diagnostiziert wird.

 

Von 100 Frauen sind 80 Mütter. Sie stellen somit die Mehrheit der Frauen dar. Von Gleichberechtigung sind sie jedoch weit entfernt. Sowohl was das Gender Pay Gap angeht, als auch das Ausmaß an unbezahlter (Sorge-) Arbeit, Altersarmut, in Bezug auf das Burnout Risiko und Gewaltbeziehungen sind Frauen mit Kindern eine am stärksten benachteiligte Gruppe, wenn wir die Gendergerechtigkeit betrachten. Jede fünfte Mutter leidet unter Erschöpfungszuständen.

 

Gleichzeitig wird das im feministischen und/oder Gender-Diskurs unzureichend thematisiert. Diese Lücke im feministischen Diskurs gibt es seit den 1980iger Jahren. 

 

Die Mütter verschwinden aus dem Gleichstellungsdiskurs, vermutlich weil Mütter, besonders wenn sie mehr als ein Kind haben, keine Zeit haben sich dort einzubringen und weil Mütter ein hochemotionales Thema sind. 

Vielleicht hat der Feminismus der 1980-er Jahre vor den Müttern halt gemacht. 

Paula Diederichs 

Eltern: Mütter und Väter?

Bei heterosexuellen Elternpaaren unterscheiden sich Arbeitsalltag und finanzielle Situation von Frauen und Männer deutlich. 96 % aller Väter arbeiten Vollzeit, aber nur etwa 30 % aller Frauen mit Kindern unter 6 Jahren. Gleichgeschlechtliche Paare teilen die Care-Arbeit meist fairer, sie machen aber nur ca. 3-5 % aller Elternpaare aus. (Quellen im Anhang)

 

72 % aller Menschen in ambulanter Psychotherapie sind Frauen. Die Lebensbedingungen von heterosexuellen Menschen, die ca. 90 % der Gesamtbevölkerung ausmachen, unterscheiden sich stark je nach Geschlechtszugehörigkeit. Über 82 % aller Care-Arbeit wird von Frauen übernommen und über 80 % aller Frauen gebären und stillen. Das biologische und vor allem das soziale Geschlecht (Gender) haben einen großen Einfluss auf die persönliche Lebenssituation, auf Diskriminierung, auf Macht- und Ohnmachtsstrukturen und auf den Zugang zu den jeweils persönlichen Ressourcen. Auch Überlastung und unbezahlte Arbeit wirken sich auf die Gesundheit aus.

Pay gap

Das jeweilige Einkommen ist immer ein Barometer für gesellschaftliche Teilhabe. Gesellschaftliche Teilhabe und Arbeitsbelastung stehen im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit.

 

Betrachten wir den Durchschnittsstundenverdienst in Deutschland nach Geschlecht: 

 

  • Ein heterosexueller Mann verdient im Durchschnitt 18,20 Euro/Stunde, 
  • ein homosexueller Mann 16,80 Euro/Stunde,
  • eine kinderlose hetero- bzw. homosexuelle Frau 16,00 Euro/Stunde.

Eltern und das Geld?

Ein relevanter Pay Gap ist bei Müttern festzustellen. Auf die Lebensarbeitszeit bezogen verdient eine Frau mit:

 

  • einem Kind 32 % weniger als eine Kinderlose, 
  • zwei Kindern sind es 56 % weniger, 
  • eine Frau mit drei Kindern verdient 72 % weniger als eine kinderlose Frau. 

Einkommensunterschiede gibt es interessanterweise zwischen kinderlosen Männern und Vätern nicht.

 

Bei heterosexuellen Elternpaaren unterscheiden sich Arbeitsalltag und finanzielle Situation von Frauen und Männer deutlich. 96 % aller Väter arbeiten Vollzeit, aber nur etwa 30 % aller Frauen mit Kindern unter 6 Jahren. Die Altersarmut ist weiblich und hetero“ und schließt die Kinderarmut mit ein. Sie verursacht psychisches Leid, was therapeutisch als Ursache erkannt sein will.

Psychotherapeut oder Psychotherapeutin?

Männer und Frauen leiden psychisch nicht nur anders, sie arbeiten auch als Therapeut*innen oft anders: Wir sitzen nicht als Neurom voreinander, sondern als Männer und Frauen (oder Divers). Wir wählen meist nicht zufällig eine Frau oder einen Mann oder eine nicht binäre Person als Therapeut*in, wenn wir wählen können. Wie fühle ich mich als Frau, wenn ich mit einem Mann über meine Essstörung rede, über meine Schuldgefühle als Mutter oder über sexuellen Schwierigkeiten? Für kinderlose Menschen, die sich nicht mit Care-Arbeit beschäftigt haben, ist es nicht einfach, die Belastung einer Alleinerziehenden zu erfassen und zu ermessen, ob es sich um eine aktuelle Erschöpfungsdepression oder ein Thema aus der Kindheit handelt. 

Historische Wurzel

Jahrhunderte prägte die christliche Kirche Europa, eine lange historische Tradition. Denken wir an Eva, der die Schuld für den Sündenfall gegeben wird oder Maria. So selbstlos und gut wie Mutter Maria sind wir alle nicht. Wir Frauen sind also nie gut genug“. Das Bild der aufopfernden, selbstlosen und demütigen Mutter ist in allen Köpfen. Das mag weit hergeholt erscheinen. Bis 1977 brauchte eine Frau in Deutschland die Erlaubnis ihres Ehemannes, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können und die Haushaltsführung und der Geschlechtsverkehr waren eheliche Pflichten. Auch heute gibt es den Wunsch der Mütter selbstlos und aufopfernd zu sein. Dies ist in der therapeutischen Arbeit ein wiederkehrendes Thema. Rollenbilder haben wir alle im Kopf.

 

Viele Frauen leiden unter Schuldgefühlen, Depressionen und Gefühlen der Wertlosigkeit, obwohl sie meist sehr viel leisten. Hier treffen sich die gesellschaftlich mangelnde Anerkennung mit dem historischen Rollenbild.

 

Männliche Rollenstereotype lassen eher selten Empfindsamkeit und das Artikulieren von Bedürftigkeit zu. Von den Männern wurde erwartet, dass sie schmerzunempfindlich sind, selbstständig alles entscheiden und immer mutig. 

 

Gender-Psychotherapie berücksichtigt die Unterschiede in unserer Erziehung, in unseren Körpern, in den Rollenstereotypen und in den unterschiedlichen Lebensrealitäten. 

 

Wie es mir psychisch geht, hat folglich nicht nur mit meiner Kindheit, sondern auch mit unseren jeweiligen Geschlechterrollen zu tun und sollte somit in die Psychotherapie mit einbezogen werden. Ich arbeite tiefenpsychologisch. Wir schauen, was sind die Bindungsmuster, die erlernt wurden, welche Kindheitserfahrungen prägen oder behindern ein erfülltes Leben. Wir berücksichtigen den Körper, denn in Ihm speichern sich Gefühle und Erfahrungen. Wir betrachten das (Familien-)System und die Persönlichkeit, Menschen sind auch in ihrem Temperament verschieden. Zusätzlich beziehen wir die Geschlechterrolle mit in den therapeutischen Prozess ein. Und dann schauen wir nach Vorne, wo soll die Reise hingehen.

Background zur Gender-Psychotherapie

Zahlen zum Thema variieren etwas. So wird der Prozentsatz der teilzeitbeschäftigen Frauen mit etwa 50 % angegeben und der Teil der Vollzeitbeschäftigen zwischen 22-28 %, je nach Studie. Ich habe verschiedene Studien im Anhang. Die Grundaussagen sind jedoch immer dieselben. Die Mehrarbeit der Frauen im Haushalt im Vergleich zu den Männern wird zwischen 85-110 Min. pro Tag angegeben. Entscheidend ist meines Erachtens, dass es eine deutliche Mehrarbeit gibt und nicht ob diese 10 Min. mehr oder weniger am Tag beansprucht.

 

Links zum Artikel zu diesem Thema:

 

Spiegel Psychologie

 

Das ignorierte Leiden der Männer

 

Studien zeigen sich seit Jahrzehnten, dass Männer und Frauen nicht in gleichem Ausmaß und in unterschiedlichem Ausmaß von psychischen Störungen betroffen sind. Während Frauen im Vergleich zu Männern deutlich häufiger unter Angststörungen und Depressionen leiden, treten Männer generell seltener wegen psychischer Probleme in Erscheinung und wenn, dann eher durch Suchterkrankungen.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

 

Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung

Research Gate

 

Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung: Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH)